Chorleben - S-Chorverband

Erfolgreiche Kinderchorleiterin wird vom OCV geehrt

Erfolgsmodell für andere Vereine interessant?

Vier Chöre und 300 Einwohner. Bolstern, ein Teilort von Bad Saulgau ist sicher eine Ausnahme, aber Vorbild für andere Vereine. Bei uns steht in den Chören der Spaß und das Miteinander im Vordergrund berichtet Ulrike Kessler beim Interview mit der Chorjugend im Oberschwäbischen Chorverband. Damit bieten wir den Ausgleich zum zunehmenden Stress und Leistungsdruck an der Arbeitsstelle, weiß Ulrike Kessler und erteilt einem Wettbewerbsdenken in den Chören eine klare Absage. Die Sängerinnen und Sänger wollen heutzutage abschalten vom Alltagsstress. Vereine müssen dem gerecht werden, um Erfolg haben zu können.

Ulrike Kessler gründete am 05.06.1986 mit dem damaligen Vorsitzenden in Bolstern (300 EW) den Kinderchor aus welchem sich 2002 ein Neuer Chor, der „DeJuChoBo“ entwickelte. Beide Chöre verfügen heute über 60 Sängerinnen und Sänger.

Hier das Interview mit Frau Kessler befragt von Marianne Braunmüller und Andreas Mayer:

OCV-Chorjugend: Frau Kessler Sie wurden trotz Ihres jungen Alters bei der OCV-Versammlung für 25 Jahre Chorleitertätigkeit geehrt. Warum war Bolstern schon vor 25 Jahren so innovativ?

Frau Kessler: Wir hatten das Glück, dass wir damals den richtigen Vorsitzenden hatten. Hans Kienzler hat damals schon gesehen, dass Chöre nur mit Nachwuchsarbeit überleben können. Er war offen für neue Wege und verband innovative Möglichkeiten mit dem Gesang. An einem kirchlichen Jubiläum sollte ein Kinderchor singen und so fingen wir am 05.06.1986 mit 48 Kindern an. Der Erfolg führte dann zur Anbindung an den Verein. Die bürgerliche Gemeinde stand hinter der Gründung und der Ortsvorsteher gewährte einen Zuschuss. Damals hat man Kinder nicht so rum gefahren, wie heute. Im Gegensatz zur Gegenwart, gab es damals nur im Sportverein Jugendarbeit.

OCV-Chorjugend: Was zeichnet die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen besonders aus?

Frau Kessler: Kinder sind ehrlich: „Das Lied ist besch…, das gefällt mir nicht.“ Bei Kindern kriegst Du gleich mit, was Sache ist. Kinder sind begeisterungsfähig und lernen schnell auswendig. Jugendliche sind flexibel, aber leider oft von der Schule, anderen Vereinen oder Freizeitaktivitäten überlastet.

OCV-Chorjugend: Warum raten Sie den Mitgliedschören im OCV zur Gründung eines Kinder- und / oder Jugendchors?

Frau Kessler: Vor 25 Jahren war es einfacher, weil nicht so viele Angebote bestanden haben. Aber von nichts kommt ja bekanntlich auch nichts. Wenn jemand als Kind oder Jugendlicher schon beim Singen war, der tut sich später leichter wieder zum Singen zu kommen. Die Hemmung des Unbekannten ist weg. Die Überalterung der Chöre ist nur durch das Angebot von innovativem Gesang beizukommen. Jüngere Leute wollen moderner und peppiger singen. Neue Chöre sind keine Konkurrenten sondern sichern den Fortbestand.

OCV-Chorjugend: Aus dem Kinder- und Jugendchor in Bolstern gründete sich ein Neuer Chor, was war der Anstoß dafür?

Frau Kessler: Wir hatten 1994 erste Tendenzen, dass die Jugendlichen im Kinderchor eigene Lieder singen wollten. Bei Auftritten haben dann alle zusammen angefangen und die Jugendlichen haben dann den Auftritt mit zwei oder drei Liedern beendet. Das war wichtig, weil die Jugendlichen sonst schnell die Lust verloren hätten weiterzusingen. Im Jahre 2002 gründeten wir dann einen Projektchor, um am „Konzert der jungen Chöre“ mitzumachen. Aus diesem Projektchor entstand dann der Junge Chor, was nicht beabsichtigt war. In einer Singstunde haben wir einfach mal gefragt, wer eigentlich weiter machen möchte und von den ca. 30 Sängerinnen und Sängern wollten nur ein oder zwei aufhören. Als Marketing diente das Stadtjournal Bad Saulgau und vor allem persönliche Ansprachen von Bekannten.

OCV-Chorjugend: Wie bekommt der Neue Chor Nachwuchs? Ist umfangreiche Sängerwerbung notwendig?

Frau Kessler: Seit 2002, also dem Projekt, machen wir keine Werbung mehr. Das läuft alles von alleine. Nach Konzerten wird man angesprochen, ob man zum Chor kommen darf. Auch Einwohner anderer Ortschaften kommen zum Jungen Chor, weil es in diesen Ortschaften nur einen Männer- und / oder Kirchenchor gibt. Kinder kommen auch von selber. Jedoch kommen Kinder aus Familien leider nicht zum Chor, wenn die Familie nicht im Ort integriert ist.

OCV-Chorjugend: Wie hat sich die Chorwelt in den letzten 25 Jahren verändert?

Frau Kessler: Leider gibt es heute weniger Chöre und diese sind oft überaltert. Bei uns in der Gegend hat sich die Anzahl der Kinder- und Jugendchöre nicht arg erhöht. In den Schulen wurde die Schulzeit deutlich erhöht und es gibt mehr Mittagsschule, wo auch Gesang angeboten wird. Problematisch für den Vereinsgesang sind die Zeiten der Mittagsschule von weiterführenden Schulen, weil die Kinder erst um 17:10 Uhr nach Bolstern zurück kommen. Bei Ganztagesangeboten in der Schule brauchen Vereine nichts machen, wenn dort bereits gesungen wird. Sollte dies nicht der Fall sein wäre es gut, wenn Vereine dort Gesang anbieten würden.

OCV-Chorjugend: Viele Chöre haben Probleme in der Nachwuchsarbeit. Besonders das Alter zwischen 30 und 50 Jahren scheint schwierig für den Gesang begeistert werden zu können. Was würden Sie den Chören empfehlen?

Frau Kessler: Verbindung von Nachwuchsarbeit, Spaß und neuer Chorliteratur würde den Chören helfen. Wenn einer bei der Sängerwerbung sagt, dass er nicht singen kann und will dann braucht man denjenigen gar nicht mehr werben. Durch die berufliche Belastung und Kinder will der heutige Sänger abschalten und zur Ruhe kommen. Für den einen ist das Singen das Richtige und für den anderen das Fitnessstudio.

OCV-Chorjugend: Wo sehen Sie die Herausforderungen für den Gesang in den kommenden Jahren?

Frau Kessler: Nicht den Kopf in den Sand stecken. Trauen sie sich zur Nachwuchsarbeit und bleiben sie flexibel. Heute wollen Menschen nicht nur deutsch, sondern auch englisch singen und es hat keinen Wert auf  traditioneller Literatur zu beharren, wenn sie niemand mehr singen und hören will. Musik und der Mensch verändern sich ständig. Der gesunde Mix macht’s.

OCV-Chorjugend: Was halten Sie von den Fortbildungsmöglichkeiten und Förderprogrammen des OCV und SCV?

Frau Kessler: Gibt es genug. Ich selber war schon oft an der Landesakademie Ochsenhausen. Kinder haben richtig Spaß daran und fragen dauernd, wann wir endlich wieder dorthin gehen. Persönlich habe ich die Chorleiterprüfung gemacht und war mit dem Angebot zufrieden. Manche Landkreise bieten mehr als andere, was aber am Landkreis liegt. Bei den Fortbildungsmöglichkeiten ist für jeden etwas dabei. Junge sind offener für Stimmbildung und Erwachsene müssen erst überzeugt werden. Mein Wunsch ist, dass man die Angebote mehr annimmt.

OCV-Chorjugend: Was macht Ihnen Heute noch viel Spaß?

Frau Kessler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendwann mit den Kindern nicht mehr arbeiten will. Es macht mir nach wie vor viel Spaß, weil Singen begeistert und fortentwickelt werden kann. Das Schönste ist, wenn eine Mama sagt, dass ihr Kind den ganzen Tag die Lieder vom Chor singt. Chorleiter sein ist ein Geduldsjob. Ungeduld geht gar nicht und man braucht einen guten Mittelweg. Nicht alles mit sich machen lassen und dabei auch nicht alles auf die Goldwaage legen. Kinder machen es einem genau so nach, wie man es ihnen vormacht. Selber muss man sich sicher und den Kindern ein Vorbild sein.

OCV-Chorjugend: Würden Sie Heute irgendetwas anders machen, als vor 25 Jahren?

Frau Kessler: 1986 war ich eine Anfängerin und 16 Jahre alt. Trotzdem würde ich Heute nichts anders machen. Manche Dinge haben sich nicht oder nur kaum verändert. Kinder wollen und können singen und mir als Chorleiterin macht es Spaß. Unser Kinderchor ist immer an den Konzerten dabei und wir singen mit dem Männerchor immer ein gemeinsames Lied. Mittlerweile macht da auch der Neue Chor mit. Irgendwann ist ein traditioneller Chor nicht mehr die Vereinsbasis und dass könnte der Neue Chor weiterführen, aber sicher anders als jetzt. Vereine müssen schauen, dass ein Neuer Chor integriert wird und sukzessive übernehmen kann. Kinder- und Jugendchöre retten keine traditionellen Chöre sondern gründen Neue Chöre.

Vielen Dank für Ihre Zeit und die Antworten. Die Chorjugend im OCV wünscht Ihnen und den Chören in Bolstern für die Zukunft alles Gute.

Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 17. Mai 2011, Jugendchöre, Kinderchöre, Nachwuchsarbeit, Oberschwäbischer Chorverband, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.

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