Chorleben - S-Chorverband

Kann man Johannes Brahms toppen?

Tilman Heilands multimusikulturelles Requiem

„Wir möchten mit dieser Auftragskomposition ein Zeichen für den Frieden in unserer Welt setzen und Brücken schlagen zwischen Religionen und Kulturen.“

Wir – das waren der Komponist und Dirigent Tilman Heiland, der Ideengeber und zweite Dirigent Ulrich Egerer, Mitglieder von 6 Chören (MGV 1825 Ludwigsburg GCH, Philharmonischer Chor Fellbach, Philharmonischer Chor Ludwigsburg, Chor des Remstal-Gymnasiums Weinstadt/ Einstudierung Uta Scheirle, Chor der Ottmar-Mergenthaler Realschule Vaihingen a.d. Enz, Chorgemeinschaft Besigheim/ Einstudierung beide Ulrich Egerer) und die Junge Süddeutsche Philharmonie Esslingen.

Solisten waren Miriam Burkhardt (Sopran), Cornelia Lanz (Alt), Christian Wilms (Tenor), Kai Preußker (Bass); Julia Michel-Egerer (Klavier), Moritz Haardt (Orgel).

„Schreiben Sie uns eine anspruchsvolle Kritik“, bat mich der Pressechef des Philharmonischen Chores Fellbach. Die Laienmusikszene ist nicht gerade „berüchtigt“ für kritische Berichterstattung, was manchmal gut ist. Denn bisweilen passiert es, dass ein junger, eifriger, frisch aus der Journalistenschule kommender Kritiker die Leistungen der Laienmusik mit den Maßstäben des subventionierten Kulturbetriebs misst und sich damit seine ersten „Freunde“ macht, sowohl im be-/getroffenen Verein wie auch in der eigenen Redaktion, die viele böse Leserbriefe beantworten darf.

Schon die fast mahler´sche Besetzung ließ ein schwergewichtiges Werk erwarten. Das einzige, was man als Außenstehender nicht wusste, war die Frage nach der stilistischen Einordnung. „Neue Musik“ ist heute ein ebenso unscharfer Begriff geworden wie das Wort „Moderne Musik“. Die einen denken an Donaueschingen, die anderen an Pop&Swing. Nichts von alledem. Tilman Heilands „Requiem“ ist im besten Sinne des Wortes „World- und Wohlfühlmusik“. Keine Passage, die nicht im Klassikradio laufen könnte. Ich meine das unter Außerachtlassung aller feuilletonistischen und musikalisch-zeitgenössischen Gesichtspunkte durchaus positiv. Es ist „Best of Musikgeschichte“. Gäbe es so etwas wie ein „Partiplag.wiki“ (Parti = Partitur), Heiland gäbe einige Nüsse zu knacken. Im Gegensatz zur Dissertation eines früheren Ministers fällt es den Suchern nämlich gar nicht so leicht, längere Passagen einem Komponisten zuzuordnen. Zu schnell wechseln Fauré, Brahms, Jenkins u.a. den Taktstock. Feuilletonisten nennen das eklektisch, aber wenn einer der weltweit erfolgreichsten Komponisten wie Karl Jenkins sich der Musikgeschichte bedienen darf, warum sollte es Heiland nicht tun. Er macht es so souverän und wirkungsvoll, dass jeder Chorsänger glücklich ist, dabei zu sein. Und das ist für Laiensänger mehr wert als Teil einer ebenso arrivierten wie unverständlichen Neuschöpfung zu sein.

„Lustfeindliche Kriterien“ gestrenger Musikwissenschaftler zählen heute bei der Laienmusik weder auf der produktiven noch auf der reproduktiven Seite. Die Devise lautet: Es gibt alles, machen wir das Beste daraus! Musik ist der soziale Superkitt, water-resistant und tropffrei, wer möchte bei so viel gesundheitlicher, lebensbejahender, beziehungsprägender Kraft über Herstellung, Lagerung, Nährwerttabellen und Mindesthaltbarkeit diskutieren? Gut gemacht macht Laune. Die Schwächen der Partitur sind eher der klanglichen „Gigantomanie“ mancher Passagen geschuldet, vielleicht auch den Finanzen. Denn die viel zu kleine Holzbläsergruppe (in der Partitur klingt sie wunderschön) kann sich gegen die instrumentale und vokale Übermacht nicht durchsetzen. Aber – wie gesagt – wir saßen nicht in der Berliner Philharmonie oder Münchens Gasteig, sondern in der Friedenskirche Ludwigsburg und der Fellbacher Schwabenlandhalle. 120 Sängerinnen und Sänger, 80 Kinder, 65 Instrumentalisten, wirklich hervorragende junge und bereits renommierte Solisten, die der Musik und den Texten zwischen Bibel, Koran, Gryphius, C.F. Meyer, Rimbaud und Franz von Assisi ihre Stimme gaben. Ein Sonderlob sei gestattet: Uta Scheirles Kinderchor verdient es zusammen mit dem Organisten Moritz Haardt aus vollem Herzen. Dabei standen gerade sie vorab im Kreuzfeuer.

Wer die erste Sure des Koran liest und nicht weiß, ob das Gebet aus dem Koran oder aus der Bibel stammt, wird es nicht merken. Aber die Frage, ob man christliche Kinder Texte aus dem Koran singen lassen darf, beschäftigte in nicht immer sachlicher Form wochenlang zahlreiche Internetforen. „Ich bin gegen Allah in unserer christlichen Kirche“ war auf Plakaten vor der Friedenskirche und vor der Uraufführung zu lesen. Die Hoffnung auf einen philosophisch- theologischen Dialog auf der Basis der uraufgeführten Musik – also „ein bisschen Allah, ein bisschen Jesus“ – ist mit Sicherheit in fundamentalistischen Zeiten wie der unseren blauäugig, auch wenn der Schirmherr der Veranstaltung, DCV-Präsident Dr. Henning Scherf, sein Grußwort mit dem Wunsch schloss: „Lasst das Streiten, beginnt gemeinsam zu singen.“

Bleibt nur noch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: „Kann man Johannes Brahms toppen?“ Man kann es nicht. Aber man kann ihm 145 Jahre später nacheifern. Wolfgang Layer

Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 1. Mai 2012, Chorverband Friedrich Silcher, Regionalchorverbände, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.

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